Elf Gramm Poesie

Stephanie Rebonati © 2015

Design Preis 2015

Stephanie Rebonati, Hochparterre 12 | Dezember 2015 | Elf Gramm Poesie pdf

Der Architekt und Industriedesigner Thomas Horvath hat den leichtesten Drachen der Welt konstruiert. Er fliegt ohne Wind und verdient damit den Hasen in Gold.

 

Zum Staunen gebracht

Aus einem Hauch Nichts konstruiert leistet dieses Gerät enorm viel. Thomas Horvaths Nullwinddrachen "I’ll be back" steigt bis hundert Meter hoch und fliegt auch im Innern eines Gebäudes. Ist der Boden erwärmt, spielt er mit der Thermik und macht in seinem Flugverhalten Energie sichtbar. Im Ausdruck magisch schwebt er extrem ruhig und spektakulär langsam.

Seit letztem Winter ist der Drachen mit der ultraleichten Bespannung Spectra-Laminat verfügbar. Damit ist es möglich geworden, das Gewicht auf elf Gramm zu reduzieren.

Im Spiel bewirkt der Drachen, was Poesie vermag: Er lässt uns staunen und wirft uns auf uns selbst zurück. Dabei setzt Horvath seine langjährige Erfahrung in die Konstruktion eines Spielzeugs, das das Spielen überaus ernst nimmt.

Weniger ist auch hier mehr: Die Steuerung besteht darin, dem Gerät seinen Willen zu lassen. Das formatiert das Verhältnis zwischen dem Objekt und uns auf eine neue Weise: Spielend werden wir zu Beobachterinnen und Beobachtern.

Meret Ernst

 

Das Mobile im Foyer des Toni Areals, Museum für Gestaltung, Zürich.
Ausstellung Design-Preis 2015: Das Mobile im Foyer des Museums für Gestaltung, Zürich.

Der Originaltext von Stephanie Rebonati


Der Schweizer Architekt und Industriedesigner Thomas Horvath hat den leichtesten Drachen der Welt konstruiert. Er wiegt elf Gramm und wirkt wie ein ruhender Falter, wenn er so daliegt.

Ist das für Sie Sport, das mit den Drachen?
Nein.

Was ist es dann?
Es ist ein Spiel.

Ein Spiel?
Eindeutig.

Erzählen Sie mir davon.
Es hat etwas Kontemplatives. Beobachten, was der Drachen macht, was die Luft macht.

Aber Ihre Drachen brauchen gar keinen Wind.
Wind nicht, aber ein Hauch wie abends am Meer ist immer schön.

Sagen Sie Leine oder Schnur?
Ich sage Kabel. Die Spule liegt übrigens am Boden. Nicht in der Hand. Mit der einen Hand gibt man dem Drachen gelegentlich Impulse.

Ist das wie Dirigieren in der Musik?
Das habe ich so noch nie gehört. Meine Drachen haben wenig mit Kontrolle zu tun. Es geht vielmehr um Loslassen.

Wie meinen Sie das?
Bei herkömmlichen Lenkdrachen müssen die Kabel immer gespannt sein, sonst kommen sie runter. Meine Drachen wollen in die Höhe. Das Kabel muss ganz ruhig am Boden und in der einen Hand liegen. So kann ich gezielt Impulse geben, wenn der Drachen sie braucht.

Wann braucht er sie?
Wenn er kreisen, nach oben schweben oder nahe am Boden gleiten will.

Nennen Sie sich Drachenbauer oder Drachenkonstrukteur?
Ich weiss gar nicht.

Also im Grunde sind Sie Architekt und Industriedesigner.
Das war ich mal. Ich bin Erfinder und Unternehmer.

Thomas Horvath hat den leichtesten Drachen der Welt konstruiert. Er wiegt elf Gramm und heisst «I’ll be back». Der Titel stammt aus der Filmszene, in der Terminator auf dem Schmierposten nicht beachtet wird. Er blickt dem Polizisten tief in die Augen und sagt: «Ich komme wieder». Als er das tut, fährt er mit einem monströsen Wagen die Wache platt. Das macht Thomas Horvaths synergetischer Nullwind-Drachen natürlich nicht. Er ist ganz leise. Wenn er so da liegt, wirkt er wie ein ruhender Falter. Sein hauchdünnes, farblos transluzides Segel schimmert wie Perlmutt. Er hat eine Spannweite von einem Meter und kommt auf einem grossen Arbeitstisch fast schon klein vor. Doch es ist gerissen, dieses vermeintlich rein ästhetische Objekt. Es ist Hightech pur. Um es zu konstruieren, baute Thomas Horvath seinen Schneideplotter, seine Drehbank, Näh- und Umspulmaschinen um. Er installierte Speziallampen, kaufte Brillen mit erhöhter Dioptrie, feinste Werkzeuge, die es ermöglichen, im Millimeterbereich zu arbeiten. Der 55-jährige Zürcher baut jeden Drachen selber, «Türe zu, Telefon ab», denn «sie lassen sich nicht wie ein Leintuch nähen». Die Toleranz in der Symmetrie: weniger als ein halber Millimeter. Höchste Präzision und Konzentration sind gefragt.

Das Gerüst des Drachens wird aus exakt zwei Metern Karbonstab gebaut. Ein Erwachsener kann drauftreten, ein Hund reinbeissen, die eineinhalb Millimeter Stäbe brechen nicht. Das Segel besteht aus hauchdünnem, farblosem Spectra-Laminat, einem extrem leichten Polyethylen aus Nordamerika. Spectra ist die Marke der Rohfasern, die als kristalline Struktur aufgebaut sind und eine niedrige Dichte aufweisen. Deshalb gelten sie als die dehnungsärmsten Fasern überhaupt und lassen sich nicht zerreissen. Ein wichtiger Vorteil, denn das Segel wird leicht übersehen, wenn es auf dem Boden liegt. An Nase, Kiel und an den Flügelspitzen und Leitkanten wird das Flugobjekt durch symmetrisch geschnittene schwarze Polyester-Elemente namens Icarex eingefasst. Ganz wichtig: hier wird genäht und nicht geklebt. Denn hier geht es nicht um ein Massenprodukt, sondern um Qualität, Nachhaltigkeit und Minimalismus – made in Switzerland. «Dann ist es fast schon echter Minimalismus», sagt Thomas Horvath und kehrt seinen Drachen um. Er deutet auf die Waage. Sie besteht aus ummantelten Spectra-Schnüren, die in Kanada nach seinen Vorgaben geflochten werden. Die Waage ist das Interface zwischen Drachen und Kabel.

Die Konstruktion interpretiert das «Tensegrity»-Prinzip des amerikanischen Konstrukteurs Richard Buckminster Fuller: Die Struktur steht unter Spannung (tension) und alle Teile sind miteinander verbunden (integrity). Das Prinzip macht den Flugkörper elastisch und trotzdem stabil. So wird der «I’ll be back spectra laminate edition» (heute: I’ll be back urban flow edition) konstruiert. Der leichteste Drachen der Welt. Elf Gramm. Eine Kombination aus Hightech und Poesie. In der Luft ist er agil und gleichzeitig langsam. Nach einem Impuls, einem Ziehen des Drachenfliegers entschleunigt er sich sofort wieder und gleitet weiter, als ob nichts geschehen ist. Er kann in aller Ruhe vor sich her schweben und kurz vor dem Boden wieder steil nach oben zielen. Auch in Innenräumen – besonders diese Fähigkeit fasziniert den Betrachter.

Als Architekt und Industriedesigner arbeitet Thomas Horvath nur noch, wenn Projekte an ihn herangetragen werden, wenn er keine Akquise, keine «Wettbewerbe ins Blaue hinaus» machen muss. Heute lebt der Unternehmer von seiner Erfindung. «Das hier ist alles auf die Spitze getrieben» und meint damit «genauer geht es gar nicht, hoffe ich». Er wirkt nicht eingebildet, wenn er das sagt. Vielmehr steht hier einer im karierten Hemd, mit Leserbrille auf dem Kopf und Zigarette im Mundwinkel, und sagt offen, dass er fasziniert ist von seinem Beruf. Er baut seit 15 Jahren Drachen. Er skizzierte, tüftelte, probierte aus und verwarf. Anfang dieses Jahres lancierte er mit dem «I’ll be back» aus Spectra-Laminat (dyneema composite fabric), das wie Perlmutt schimmert, das so kostbar und verwundbar anmutet, das aber schier unzerstörbar, ja genial ist, den leichtesten Drachen der Welt.

Ist der «I’ll be back» noch optimierbar?
Ich finde keine Methode, um ihn genauer zu machen. Er ist präzis wie meine Rolex Submariner. Ende der Durchsage (lächelt).

Wie erklären Sie jeweils, wie er fliegt?
In Workshops sehe ich immer wieder, wie die Leute verkrampft dastehen und das Kabel umklammern. Ich rate ihnen, loszulassen und dem Drachen einfach zuzusehen. Das fällt uns in der westlichen, gestressten Welt schwer.

Bauen Sie deshalb Drachen?
Vielleicht.

Inwiefern dienen Ihre Drachen der Gesellschaft?
Es geht ums Entschleunigen. Slow down und so.

Was sind das eigentlich für lauter Titanrahmen und Radsätze, die hier rumstehen?
Ich baue und fahre Velos als Hobby. Auf dem Uetliberg und im Engadin. Dieses Vorderrad etwa, ein Crossmax Serie 2.2 mit Flachspeichen aus Aluminium wiegt ein bisschen mehr als 600 Gramm. Damit fahre ich den Uetliberg-Trail runter. Wahnsinn, was?


 


Infozeile zu Thomas Horvath:
Der Designer und Architekt erfindet, entwickelt und produziert Nullwinddrachen seit 2000 und vertreibt die extrem leichten Flugobjekte über das Drachen­labor in Zürich. Es entstand sukzessive in Thomas Horvaths Atelier für Architektur­- und Industrial­-Design, das er 1994 gegründet hat.

Infozeile zum Drachen "i’ll be back spectra laminate edition",
heute: I’ll be back urban flow edition:

Konzeption, Design, Produktion: Thomas Horvath, Zürich
Material Flügel: Spectra­-Laminat = dyneema composite fabric
Material Rahmen: Carbon
Gewicht total: 11 g
Spannweite: 1'000 mm

Auch in Presse:

Mit Null Wind nach oben Innovationen mit Charakter Sanftes Gleiten in windstillen Momenten Schweizer Präzision Die Balance zwischen Luft und Drachen